Zell am Neckar... ...mehr als nur ein Stadtteil von Esslingen
Zell am Neckar......mehr als nur ein Stadtteil von Esslingen

Nach dem Fall des Eisernen Vorhang in die Notunterkunft

Aufgeschrieben von Hans-Joachim Bosse nach einem Gespräch mit Anna Mantsch

Die Öffnung des Eisernen Vorhangs zwischen Ungarn und Österreich und durch die Wende in der DDR nutzten Übersiedler (Deutsche aus der DDR) und Aussiedler (Deutsche aus Osteuropa und der Sowjetunion) um ihren künftigen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland aufzubauen.

 

Die Zuständigkeit für die Eingliederung der neuen Mitbürger wurde vom Land Baden-Württemberg ab 1. Januar 1990 auf die Landkreise übertragen. An diesem Stichtag waren im Landkreis Esslingen bereits 2500 Aus- und Übersiedler provisorisch untergebracht. Rund 800 wohnten in Notunterkünften, die nur Übergangslösungen waren. Mit jedem neuen Monat wurden dem Landkreis 360 Menschen zur Unterbringung zugewiesen. Die Lage entspannte sich auch nicht, als im April 1990 die Zahl der Übersiedler aus der DDR sank. Dafür gab es aber einen Anstieg bei den Aussiedlern.

 

Um die Menschen nicht auf der Straße stehen zu lassen, wurde von Landrat Dr. Hans Peter Braun per Eilentscheidung am 19. Januar 1990, die Sporthalle beim Berufsschulzentrum Zell als Notunterkunft eingerichtet. Wenige Tage später folgte eine gleichlautende Entscheidung für eine Turnhalle des Landkreises in Kirchheim. Am 25.01.1990 zogen die ersten Aus– und Übersiedler in die Turnhalle des Berufsschulzentrums in Zell ein.

 

 

Meine Eltern, berichtet Anna Mantsch, flohen nach dem Krieg nicht aus Rumänien in den Westen. Aufgrund ihres Alters mussten sie nicht befürchten zu Reparationsleistungen, für die Zerstörungen durch den Krieg, in die Sowjetunion deportiert zu werden. Dieses Schicksal traf 70.000 bis 80.000 Siebbürger Sachsen und Banater Schwaben, die von 1945 bis 1949 zu Zwangsarbeitern wurden. Da wir auf dem Land lebten, waren wir durch unseren Garten Selbstversorger und hatten immer etwas zum Essen auf dem Tisch. Luxus war jedoch ein Fremdwort für uns, aber insgesamt lebten wir nicht schlecht. In den Städten sah dies anders aus. Da wir Siebenbürger in Rumänien immer mehr zu einer Minderheit wurden, sahen wir keine Zukunft mehr in unserer einstigen Heimat. Wir stellten einen Antrag für einen Pass, den wir für eine Ausreise in den Westen benötigten. Dieser und weitere Anträge wurden alle abgelehnt. Doch man durfte sich nicht entmutigen lassen. Das ganze Verfahren glich einem „Bohren dicker Bretter“, das irgendwann zum Erfolg führt. So war es auch bei uns.

 

1989 kam es zur Rumänischen Revolution bei der Staatspräsident Nicolae Ceausescu entmachtete und am 25.12.1989 vor ein Militärgericht gestellt wurde. Zusammen mit seiner Ehefrau wurde er kurz danach standrechtlich erschossen. Aus Misstrauen über die Versorgungslage, die vorher unter Ceausescu besser war, verließen 111.150 Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben das Land.

1990 bekamen wir dann endlich unsers Pässe. Wir durften nun ausreisen. Wir, das waren mein Mann, unsere beiden Kinder (3 und 5 Jahre alt) und ich. Verwandte, die bereits in Deutschland wohnten, holten uns mit dem Auto ab. Es war also keine Flucht, wie sie es nach Kriegen gibt. Für uns war eine fast normale Ausreise. Neben den persönlichen Dingen, die wir im Auto mitnahmen, wurden unsere anderen Sachen in Kisten verpackt als Stückgut nach Deutschland geschickt. Unsere erste Station in Deutschland war für wenige Tage ein Aufnahmelager in Nürnberg. Von dort ging es mit dem Bus nach Bramsche, Landkreis Osnabrück, wo wir den ganzen Papierkram erledigten. Mit dem Zug fuhren wir zum Aufnahmelager Rastatt, wo wir drei Tage blieben.

 

Wunschgemäß ging es dann nach Esslingen, wo schon unsere Verwandten wohnten. Da das für uns vorgesehen Lager in Ostfildern bereits voll war, blieb für uns nur die Turnhalle in Zell als vorläufige Unterkunft. Aus diesem “vorläufig“ wurden 10 Monate. Mit über 130 Aus- und Übersiedlern, Familien und Einzelpersonen aus Russland, Polen, aus der DDR und aus Siebenbürgen wohnten wir auf engstem Raum zusammen. Insgesamt waren es rund 350 Aus– und Übersiedler, denen die Halle zeitweise als Notunterkunft diente. Wer einmal ein Matratzenlager in einer Wanderhütte erlebt hat, kann sich gut vorstellen, dass man immer froh war, wenn die Nacht rum war. Individualität war in diesem Großraum-Schlafzimmer nicht gegeben, da die Halle mit nur wenigen Stellwänden aus Pappe aufgeteilt war. Nachtruhe gab es eigentlich nie. Das Essen lieferte die Küche der Stadthalle in Esslingen. Das Einzige was problemlos klappte, war die Aufnahme von Arbeit in den örtlichen Betrieben. Arbeitsangebote gab es genug, allein es fehlte der Wohnraum.

 

Nach unserer Turnhallenzeit bekamen wir eine Ein-Zimmer-Wohnung in einem Altbacher Hotel. Die Küche teilten wir uns mit einer anderen Familie. Wenn diese Wohnung auch für einen 4-Personenhaushalt viele Wünsche offen ließ, so bedeutete sie für uns, gegenüber der Turnhalle, einen großen Fortschritt. In Altbach haben wir drei Monate gewohnt und sind dann in die freigewordene Wohnung ins evangelische Gemeindehaus nach Zell umgezogen. Bei der evangelischen Kirchengemeinde konnte ich danach die Stelle der Mesnerin antreten und feierte 2018 mein 25 jähriges Jubiläum als Mesnerin.

 

Seit 2014 ist die Turnhalle in Zell erneut der Notnagel für die Unterbringung der vor dem Bürgerkrieg in Syrien Geflüchteten und von Asylbewerbern aus Afrika und Afghanistan. Aus meiner Zeit in der Turnhalle halte ich die Betreuung und Begleitung der Geflüchteten mit entsprechen Angeboten, hinter der die Initiative “Zell hilft“ steht, für hilfreich und notwendig. Uns halfen damals auch einzelne Zellerinnen, deren Angebote wir dankbar annahmen, die aber nicht den Umfang der heutigen Hilfe hatten. Der heutige Service, den ich für die Geflüchteten begrüße, hätte uns damals auch gut getan.

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